Anne Pöhlmann: Walkthrough, Ausstellung der Medienkunst-Stipendiatin des Landes NRW 2006

06. Oktober 2007 - 21. Oktober 2007 PHOENIX Halle

Die Düsseldorfer Künstlerin Anne Pöhlmann (*1978, Dresden) erhielt 2006 für ihr Projekt „Walkthrough“ das vom Hartware MedienKunstVerein betreute Stipendium des Landes NRW für eine Medienkünstlerin aus NRW.

Die Künstlerin beschäftigt sich in diesem Projekt mit gebauten Zukunftsvisionen der 1960er und 1970er Jahre. Sie interessiert sich dabei insbesondere für die Zwischenräume zwischen den architektonischen Körpern – sozusagen die Negativformen der modernistischen Architektur – und die Arten ihrer heutigen Nutzung.

Hartware MedienKunstVerein
in der PHOENIX Halle Dortmund
Hochofenstr. / Ecke Rombergstr.
Dortmund-Hörde

Präsentation von Anne Pöhlmann: Sonntag, 14. Oktober 2007, 17:30 Uhr

Öffnungszeiten:
Do + Fr 11-22 Uhr
Sa + So 11 – 20 Uhr
Mo-Mi geschlossen



Walkthrough

Nach der totalen Zerstörung der Dresdener Innenstadt im Jahr 1945 wird in den späten 40er und frühen 50er Jahren an einer radikalen Erneuerung der Stadt im Sinne einer gesellschaftlichen Utopie gearbeitet, die den ehemals dichten historischen Stadtplan komplett umschreiben wird. Eine neue Gesellschaft soll entstehen und dementsprechend an einem neuen Stadtbild gearbeitet werden. Es werden radikale Utopien einer modernen Stadt entwickelt und Vorschläge für eine komplette Neugestaltung Dresdens gemacht – u.a. von Mart Stam, einem Niederländer, der 1948 als Kunsthochschulprofessor nach Dresden in die SBZ übersiedelt und später Direktor der Kunsthochschule Berlin-Weißensee wird, der die DDR allerdings 1953 auch wieder verlässt.

Im Laufe der Zeit und unter den wirtschaftlichen Bedingungen des Wiederaufbaus in der SBZ – später der DDR – verloren diese Utopien ihre Radikalität und ihr ursprüngliches Ausmaß. Dennoch stellte das Stadtzentrum Dresdens nach dem Untergang der DDR ein beeindruckendes Beispiel für den Fortschrittsdrang und den Gestaltungswillens dieser Gesellschaft dar, welches nicht desto trotz einige Schnittstellen zu nichtsozialistischen modernistischen Bewegungen beinhaltete. Teile dieses Stadtgebildes existieren heute bereits nicht mehr. Die Innenstadt Dresdens wurde insbesondere in den letzten zehn Jahren stark bebaut, verändert und den aktuellen Bedürfnissen der Gesellschaft angepasst (vielleicht war es auch anders herum). Trotzdem sind an vielen Stellen noch Fragmente der ursprünglichen Stadtutopie zu besichtigen. Teilweise im Originalzustand erhalten, größtenteils der ihnen zugedachten Nutzung entzogen, bezeugen sie den Veränderungswillen und Fortschrittsglauben ihrer Entstehungszeit.

Eine dieser vergessenen Utopien entzieht sich versteckt unter der Erde der heutigen Realität. Es handelt sich dabei um einen 1970 gebauten Fußgängertunnel unter einer der zentralen innenstädtischen Verkehrskreuzungen, dem Pirnaischen Platz. Als wichtiger Teil der perfekt autogerechten Stadt wurde er großzügig ausgebaut und unterquerte mehrspurige Straßen, die in der Zukunft den dichten Verkehr in das Stadtzentrum hinein- und wieder hinausbewegen sollten.

Die Wirklichkeit in Dresden entwickelte sich nach 1970 weniger drastisch und der Fußgängertunnel blieb in der drauffolgenden Zeit eine überdimensionierte Idee dessen, wie Dresden auch über der Erde hätte aussehen sollen, wenn alle Pläne realisiert worden wären. Moderne Utopien mit ihrem Fortschrittsglauben wurden entgegen vieler Umstände und Gegenideen in einigen wenigen Fällen in all ihrer Radikalität umgesetzt – größere Projekte wurden zur selben Zeit in Brasilia, Paris oder der damaligen UdSSR verwirklicht. Diese modernen Städte produzierten eine neue räumliche Realität, welche die alte gesellschaftliche Realität unterwanderte. So sollten sie die jeweilige Gesellschaft formen und verändern. Sie stellten den Übergang von einer veralteten zu einer neuen Situation dar.

In dieser Weise kommt auch dem Fußgängertunnel in Dresden heute ein symbolischer Wert zu. Er bildet einen Stadtraum, der Geschichte verdichtet und überlagert. Seine Existenz unterwandert unser heutiges Bild, das wir von Stadtraum haben. Seine Architektur suggeriert zum Einen einen fortwährenden Fortschrittsglauben, zum Anderen hat die Zeit die ursprüngliche Utopie dieses Ortes eingeholt – seine Ausmaße erscheinen gewöhnlich und die Idee eines Tunnels alt. Unsere Erwartungen an urbane Räume und unsere Wahrnehmung dieser Räume haben sich in der Zwischenzeit einander angeglichen.

Nach einem Brand im Fußgängertunnel in Dresden wurde der zentrale Durchgang abgeriegelt und verschlossen. Seitdem liegt der Tunnel funktionsuntüchtig unter der Straße. Die Enden des Tunnels mit ihren Gängen und Treppen werden von Skatern und Sprayern benutzt. Die Bedeutung des Ortes hat sich verändert. Anstelle des gestisch funktionalen Zweckbaus, der die Zukunft heraufbeschwört, findet sich eine ruinenhafte Architektur, die Platz schafft für ein neues Gebäude: einen Spielplatz urbaner Kultur, der nirgendwo anders Platz findet in einer Gesellschaft, die jedem noch so kleinsten urbanen Raum einen Zweck abringt, und der mit einer gewissen Romantik an die Vergangenheit anschließt – ein Utopia Recycling.

Anne Pöhlmann

Förderer und Kooperationspartner

Gefördert durch:
Der Ministerpräsident des Landes NRW
Kulturbüro Stadt Dortmund
dortmund-project
PHOENIX
LEG

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