INDUSTRIAL Matinée | Vom Tresor zum Kraftwerk: Dimitri Hegemann (Berlin) über die Kraft vergessener Räume und die Ruine als Freiraum und Motor

Dortmunder U | Ebene 6

Dimitri Hegemann, Raumforscher, Gründer des Atonal-Festivals und des legendären Berliner Techno-Clubs Tresor, spricht über die Erkenntnisse, die er als wichtiger Akteur und als maßgeblich an der Entwicklung einiger subkultureller Räume im Berlin der Wendezeit Beteiligter gewonnen hat: „Wenn junge Leute mit Ideen geeignete Räume finden, beginnen spannende Prozesse, die überraschen und das Bild einer Stadt komplett verändern (können). Diese gewachsene Subkultur heißt 20 Jahre später ‚Kreativwirtschaft’. Das Problem, welches fast alle Akteure der Westberliner Subkultur in den 1980er Jahren verband, war der fehlende Raum für ihre Arbeit. Aber das änderte sich schlagartig in dem Augenblick, als die Mauer fiel, und Ostberlin mit seinen vorhandenen Freiräumen die geeignete Infrastruktur für einen folgenschweren Wandel lieferte. Der Stellenwert dieser vergessenen Räume kann nicht genug betont werden. Berlin ist heute im Vergleich zu allen europäischen Metropolen die unangefochtene Nummer 1 bei der Jugend der Welt. Das ist kein Zufall. Ohne Ostberlin hätte es z.B. keine Technoszene gegeben u.v.a. auch nicht…“

Die Musik dieser INDUSTRIAL Matinée kommt aus Dimitri Hegemanns Atonal-Forschung: Glenn Branca, Jon Hassell, Alban Berg, Morton Freeman, Basic Channel, u.a.

Moderiert von Dr. Inke Arns (HMKV) und Thibaut de Ruyter (Berlin)

Zur Person:
Der 1954 in Werl geborene Dimitri Hegemann zieht 1978 nach Berlin. Aus Münster kommend, studiert er an der Freien Universität Musikwissenschaften u.a. bei Professor Tibor Kneif. Hegemann beginnt in Westberlin die Nacht zu beobachten und wird auch in der dortigen Musikszene aktiv. 1982 tritt er Leningrad Sandwich bei und veröffentlicht mit ihnen bis 1986 drei Alben. Zwischen 1982 und 1990 organisiert er das Festival Berlin Atonal und eröffnet 1986
in einer ehemaligen Schuhwerkstatt in der Kreuzberger Wrangelstraße 95 das dadaistisch angehauchte "Fischbüro". 1988 startet Hegemann zusammen mit Achim Kohlberger das Label Interfisch, aus dem 1991 das Label Tresor Records hervorgeht. 1988 eröffnet er im Keller des zweiten "Fischbüros" in der Köpenickerstraße 6 mit dem halblegalen UFO den ersten Technoclub Berlins, der allerdings nur kurze Zeit existiert. 1991 startet er mit dem Tresor einen der stilprägendsten Technoclubs der 90er Jahre in Berlin. 2005 schließt der Tresor in der Leipziger Straße 126 A, da das Grundstück an eine Versicherungsgruppe verkauft wird. Im Mai 2007 öffnet Hegemann den Neuen Tresor in dem ehemaligen Heizkraftwerk Mitte. Das Kraftwerk bietet mit seinen 22.000 qm viel Raum für andere Welten. Geplant ist hier unter anderem eine außergewöhnliche Kunsthalle. Als Spezialist für besondere Räume arbeitete er einige Jahre an der Gestaltung eines Lichtraumes in einem ehemaligen Wasserwerk für den Künstler James Turrell. Das Projekt scheiterte aufgrund unwilliger Beamter. Auch andere Projekte scheiterten aus ähnlichem Gründen: Tresor Detroit, Woodward, Tresor Beijing, Fangjiha 48. Die Qualität des Scheiterns nimmt in Dimitri Hegemanns Arbeit einen wichtigen Stellenwert ein. Die zentrale Frage lautet: What is doable? Was geht? Was geht nicht? Weitere von ihm inszenierte Räume befinden sich in Berlin Kreuzberg: Das "Weltrestaurant Markthalle" (1993) und Der "Goldene Hahn" (1994). Zehn Jahre lang existierte auch das wohl erste Großraumrestaurant in Berlin Mitte "Schwarzenraben" (1997-2007).

Im Augenblick baut Hegemann mit seinem Team die „happy locals“ auf, eine Consulting Group aus Berliner Machern, die mit ihren Erfahrungen und kreativen Lösungen Städte vor Abwanderung junger Intelligenz und Trostlosigkeit retten - mit Inhalt und Witz.

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