passengers – Dokumentarische Positionen beim Anblick der Grenze

Dortmund | Phoenix Halle

Dok-Filmprogramm im Rahmen von „new ideas – old tricks“

Einführung

Das Film- und Videoprogramm passengers - Dokumentarische Positionen beim Anblick der Grenze setzt sich mit den Problematiken und Brennpunkten der Globalisierung auseinander und integriert gleichzeitig die zeitgenössische Dokumentarfilmpraxis als inhaltliches und formales Problemfeld. Symbolischer Austragungsort der filmischen Diskussion ist der Begriff Grenze. Im Spannungsfeld von triumphalen Globalisierungsversprechen und massiven Gegendiskursen verstehen wir die Grenze als Leitmetapher für die Auseinandersetzung um Raum, Position und Identität. Die Grenze markiert dabei den Ort, der symbolisch wie real kulturelle, soziale und politisch-ökonomische Konflikte sichtbar werden lässt. In den Blick kommt das Scheitern eines Grenz-Begriffs, der das ‘Eigene’ gegenüber dem ‘Fremden‘ definiert und als Synonym für Sicherheit und Stabilität gilt.
Innerhalb der Globalisierungsdebatte ist der Begriff Grenze vor einem Diskurs zu retten, der ihn auf ein ökonomisches Hindernis oder eine protektionistische Aussengrenze reduziert. Globalisierung errichtet nicht neue Grenzen, sondern verändert sie als Praxis: Ihre Kartographie entspricht einer Vielzahl von Landkarten, deren Grenzverläufe sich danach unterscheiden, ob es sich um den Transfer von Kapital, Waren, Informationen oder Menschen handelt, und danach, wo dieser stattfindet. passengers sucht daher nicht nur den globalen, sondern den lokalen Zusammenhang, und ordnet konkrete Einzelbeobachtungen in den übergeordneten Komplex Globalisierung ein.
So setzen sich Lisl Ponger in ihrem Found-Footage-Film Déja-vu und Trinh T. Minh-ha in ihrem Dokumentaressay The Fourth Dimension damit auseinander, wie ‘fremde’ Kulturen durch den westlichen Blick absorbiert und verklärt werden. Ponger führt diese interkulturelle Auseinandersetzung, indem sie verschiedene Migratonsdiskurse miteinander verwebt, ohne sie gänzlich einem Verstehen preiszugeben. Minh-ha reflektiert während eines Japan-Aufenthalts sowohl ihre Position als Reisende als auch als Filmemacherin und verknüpft kulturelle Eindrücke mit der filmischen Praxis des Sich-ein-Bild-Machens.
Holly Fisher stößt in Kalama Sutta - Seeing is Believing, einer Dokumentation über Burma, an die Grenzen des Bildermachens aufgrund einer offiziellen Bildzensur. Sie konfrontiert touristische Propaganda mit der Realität internationaler Niedriglohnpolitik und staatlicher Repression.
Die Konstruktion kultureller Identität und Differenz zeigt Volker Kösters Vom deutschen Rand, einem Road Movie entlang der deutschen Außengrenzen. Rituale, Grenzsteine und hochgerüstete Überwachungsapparaturen sorgen dort für die Illusion stabiler Ränder. Ursula Biemann untersucht in ihrem Film Performing the Border die Situation junger Arbeiterinnen in einer mexikanisch-amerikanischen Grenzstadt, in der transnationale Konzerne ihre Hightech-Produkte herstellen lassen. Dieser Grenz-/Ausnahmezustand verdeutlicht, wie ökonomische, kulturelle und soziale Mechanismen ineinander greifen.
Dass Grenzkonflikte nicht nur das Außen, sondern auch das Innen eine Gesellschaft berühren, zeigen die Filme von Hito Steyerl und Benedikt Friedl. In ihrem Video Babenhausen nimmt Steyerl den Brandanschlag auf das ehemalige Haus eines Juden zum Anlass einer historischen Rekonstruktion jüdischer Lebenskultur und deren Verfolgung in einer hessischen Kleinstadt. Friedl erzählt in Knittelfeld - Stadt ohne Geschichte die Biographie einer Familie in einer österreichischen Kleinstadt als detaillierte Ausgrenzungsanalyse des Anderen innerhalb gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Die inoffizielle Geschichte einer Stadt, deren Erinnerung Friedl auf die Gegenwart ihres Stadtbildes prallen lässt.
Die Notwendigkeit, nicht zu vergessen, trifft auf die Grenzen des Erinnerns in Abraham Ravetts The March. Über dreizehn Jahre lang führte Ravett mit seiner Mutter Gespräche über den Todesmarsch von Ausschwitz. Das insistierende Fragen des Sohnes ringt mit dem Widerstand der Mutter, an das Vergangene zurückzudenken, und den Grenzen ihres immer schwächer werdenden Gedächtnisses.

Der abschließende Workshop fRAMing THE BORDER von Matthias Thiele erweitert die filmische Grenzdebatte auf das Medium Fernsehen. Thiele stellt Bilder und Bildlichkeiten zur Diskussion, mit denen das Fernsehen die im europäischen Rahmen stattfindende Abschottungspraxis der Bundesrepublik Deutschland begleitet und legitimiert.

Gudrun Sommer, Mark Stöhr

 

Programm

 

Freitag, 15. Juni, ab 20 Uhr

> Lisl Ponger: Déjà vu , A 1999, Beta, Farbe, 23 Min.
> Trinh T. Minh-ha: The Fourth Dimension ; USA 2001, Beta, Farbe, 87 Min.
mit einer Einführung von Madeleine Bernstorff

Samstag, 16. Juni, ab 11 Uhr

> Führung durch die Ausstellung "new ideas – old tricks" von Kuratorin Iris Dressler
> Holly Fisher: Kalama Sutta – Seeing in Believing , USA 2001, Beta, Farbe, 96 Min.

15.00 Uhr
>Volker Köster: Vom deutschen Rand, 1999, Beta, Farbe, 135 Min.

18. 00 Uhr
> Ursula Biemann: PerformIng the Border , CH 2001. Beta, Farbe, 43 Min.

21. 00 Uhr
> Gerhard B. Friedl: Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte, D/A 1997, 16 mm, Farbe, 35 Min.
> Hito Steyerl: Babenhausen, D 1997, Beta, Farbe, 4 Min.
> Abraham Ravett: The March, USA 1999, 16 mm, Farbe + s/w, 24 Min.

Sonntag, 17.06.01, 11 Uhr

Workshop – "fRAMing THE BORDER" von und mit Matthias Thiele

In den 90er Jahren zeigt das Fernsehen bei Flucht und Einwanderung vorrangig Bilder von militärisch abgeschotteten national-staatlichen Grenzen. Präsentiert werden Bilder und Bildlichkeiten, mit denen das Fernsehen die im europäischen Rahmen stattfindende neo-nationale und neo-rassistische Abschottungspraxis der Bundesrepublik Deutschland begleitet und legitimiert. In einem zweiten Schritt werden anhand von Film- und Fernsehausschnitten Gegenbilder gesucht und Politiken gegen die deutsche Anti-Einwanderer-Grenze diskutiert.

anschließend:
> Jörg Heitmann und Philip Scheffner: Juristische Körper, D 1995, Beta, 49 Min.


Ein Projekt
in Kooperation mit dem Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie, Landeszentrale für politische Bildung

ProgrammkuratorInnen
Gurdrun Sommer, Mark Stöhr

Workshop
Matthias Thiele

Einführung Trinh T. Minh-ha
Madeleine Bernstorff

Technische Leitung
Hans D. Christ, Uwe Gorski

Support
Kulturbüro Stadt Dortmund
Filmbüro NW
Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie, Landeszentrale für politische Bildung
Pro Helvetia
Sixpackfilm, Wien
Internationales Forum des jungen Films, Berlin

 

Künstlerinnen und Künstler
Ursula Biemann (CH)
Gerhard Benedikt Friedl (DE/AT)
Holly Fischer (US)
Volker Köster (DE)
Trinh T. Minh-ha (US)
Lisl Ponger (AT)
Abraham Ravett (US)
Hito Steyerl (DE)

Links
Ausstellung new ideas – old tricks
Zugewinngemeinschaft

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