Von Industrie zu Industrial – Ein dreiteiliges Filmprogramm, kuratiert von Florian Wüst

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Nur das Geld, das sich frei bewegt, könne die Wirtschaft am Laufen halten. So propagierten die Filme des amerikanischen Marshallplans, der nach 1945 den Wiederaufbau Westeuropas einleitete, die Steigerung der Produktivität und des internationalen Handels als Voraussetzung für Fortschritt und Wohlstand. Seit Beginn der Deregulierung des Kapitalverkehrs in den 1970er Jahren werden die großen Gewinne nicht mehr in der industriellen Produktion – und damit durch Arbeit –, sondern am Finanzmarkt erzielt: Geld wird gegen Geld getauscht und produziert neues Geld. Von Industrie zu Industrial präsentiert historische und zeitgenössische Werbe-, Industrie- und Dokumentarfilme, Experimentalfilme und Videokunst. Die Programme thematisieren Öl und Kohle als einstige Motoren der Modernisierung, das Verhältnis von Mensch und Maschine, die Kapitalisierung der Städte sowie den künstlerischen Umgang mit Aufstieg und Krise der westlichen Industriegesellschaft.

18:00 Uhr – Programm 1

Schwarzes Gold

Die Verfügbarkeit der fossilen Brennstoffe bildete eine der wesentlichen Voraussetzungen für den industriellen Fortschritt im 20. Jahrhundert. Vor allem der Steinkohle-Bergbau prägte die Identität ganzer Gemeinschaften und Städte, Landschaften und Regionen. Dessen Niedergang in West- und Mitteleuropa ab den späten 1950er Jahren brachte einen tiefgreifenden Strukturwandel mit sich, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Das Filmprogramm konfrontiert die Euphorie des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Prozessen der Automatisierung einerseits und den Vorboten der Deindustrialisierung andererseits, an deren beider Ende die Niederlage der Arbeiterklasse steht – ökonomisch wie politisch.

The Birth of the Robot
, Len Lye, UK 1935, 7'
Aquila, Jacopo Erbi, IT 1950, 21'
Reportaje a Lota, Diego Bonacina & José Román, CL 1970, 17'
Sparkassen-Werbung: Wohlstand für jeden, BRD 1955, 2'
Röster från Ruhr (Im Ruhrgebiet), Peter Nestler, SE 1967, 34'

20:00 Uhr – Programm 2

Stadt des Geldes

Lärmende Werkshallen und geschäftige Marktplätze vermitteln einen starken Eindruck von Materialität: Hier werden Waren produziert und gegen Geld getauscht. Sogar das traditionelle Börsenparkett mit seinen wild gestikulierenden Brokern bildete eine physische Referenz des abstrakten Wertpapierhandels. Inzwischen wird dieser von Computern erledigt, Käufe und Verkäufe werden in Nanosekunden abgewickelt. Auch Arbeit ist eine Ware; sie hat jedoch keinen festen Preis. Ist er zu niedrig, reicht der Verdienst kaum zum Leben. Die Transformation der modernen Arbeits- und Lebenswelt durch die elektronischen Medien ist ebenso Thema dieses Filmprogramms wie die soziale und ökonomische Vielschichtigkeit der Stadt: Instandbesetzung versus Luxussanierung.

Die Heinzelmännchen, Gerhard Fieber, BRD 1962, 11'
Arrival, Mani Kaul, IN 1979, 19'
Una Ciudad En Una Ciudad, cylixe, DE 2012, 18'
Unsupported Transit, Zachary Formwalt, NL 2011, 14'
The Good Life (a guided tour), Vermeir & Heiremans, BE 2009, 16'

22:00 Uhr – Programm 3

Biest am Himmel

Viele westdeutsche Industriefilme der 1950/60er Jahre stellen die Tätigkeit der Unternehmen vor dem Hintergrund der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung heraus. Auch auf formaler Ebene sollten die Filme dem Zeitgeist entsprechen: durch den Einsatz von elektronischer Musik oder mikroskopischer Bilder, die spektakuläre Einblicke in für das menschliche Auge unsichtbare Strukturen und Vorgänge bieten. Das Verhältnis von Mensch und Maschine im fortschreitenden technischen Zeitalter wird durch die drei Filme des Programms ganz unterschiedlich beschrieben. Zentral steht hierbei Sogo Ishiis Industrial und Butoh verbindende Weltvision in 1/2 Mensch, aufgenommen während der Japantournee der Einstürzenden Neubauten im Mai 1985.

Aluminium – Porträt eines Metalls, Willy Zielke, BRD 1957, 13'
1/2 Mensch, Sogo Ishii, JP 1985, 50'
The Shutdown, Adam Stafford, UK 2009, 10'

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Zu den Filmen:

Programm 1 – Schwarzes Gold

The Birth of the Robot, Len Lye, UK 1935, 7'
Len Lye's farbige Puppenanimation ist ein Werbefilm für Shell Lubrication Oil. Ein fideler Autofahrer rast die ägyptischen Pyramiden rauf und runter, bevor er sich halsbrecherisch in die offene Wüste auf und davon macht. Von einem Sandsturm erfasst, rafft es ihn und sein Auto dahin. Doch mit Hilfe einer himmlischen Öldusche wird er als muskulöser Roboter wiedergeboren. Dank seiner Kraft wachsen nun Straßen und grüne Landschaften kreuz und quer über den Globus.

Aquila, Jacopo Erbi, IT 1950, 21'
Ohne Kommentar und Dialog, auf die Eindringlichkeit der Bilder und die emotional verstärkende Musik vertrauend, erzählt der Marshallplan-Film Aquila die Geschichte eines jungen Mannes in Triest, der vergeblich nach Arbeit sucht, um seine Familie zu ernähren. In seiner Verzweiflung klaut er eine Schachtel Pralinen, wird aber auf frischer Tat ertappt. Nachdem die Militärpolizei mit ihm Mitleid hat und ihn laufen lässt, findet er eine Anstellung in der örtlichen Aquila-Raffinerie, die mit amerikanischer Hilfe fertiggestellt wurde. Die Lohnarbeit verschafft ihm nicht nur neuen Lebensmut, sondern schützt ihn auch vor kommunistischer Propaganda, so die Botschaft des Films.

Reportaje a Lota, Diego Bonacina & José Román, CL 1970, 17'
Reportaje a Lota (Reportage über Lota), eine Zusammenarbeit der Zentralen Arbeitergewerkschaft und der Abteilung für Filmkunst der Universidad de Chile in Valparaiso, zeigt die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Minenarbeiter und ihrer Familien in der Kohlestadt Lota im Süden Chiles. Sie kämpfen für mehr Arbeitssicherheit, den Anspruch auf Pensionszahlungen oder den Bau von Schulen. Durch die Mechanisierung des Bergbaus gehen Arbeitsplätze verloren, andere Beschäftigungsmöglichkeiten in Lota sind nicht in Sicht. Zur Verbesserung ihrer Situation bleibt ihnen nichts als Ausdauer und Mut zur Eigeninititative.

Sparkassen-Werbung: Wohlstand für jeden, BRD 1955, 2'
Damals lohnte sich das Sparen noch! Der von der Insel-Film GmbH München produzierte Zeichentrickfilm greift das typische Sujet der historischen Sparkassen-Werbung auf: Das Geld gehört nicht in den Sparstrumpf, sondern auf die Bank. Dort fließt das Ersparte in Form von Krediten der Wirtschaft zu und erbringt dem Sparer obendrein Zinsen. In Wohlstand für jeden ist das Geld ganz von selbst unterwegs: Keine Menschen oder tätigen Hände sind abgebildet, die Dinge bleiben unter sich. Die Verselbständigung des heutigen Finanzmarktes erscheint hier unbewusst vorweggenommen.

Röster från Ruhr (Im Ruhrgebiet), Peter Nestler, SE 1967, 34'
Röster från Ruhr (Im Ruhrgebiet) ist der erste Film, den Peter Nestler für das schwedische Fernsehen drehte: eine Abrechnung mit Deutschland und seiner faschistischen Vergangenheit, mit der Ausbeutung und dem verlorenen Kampf der Arbeiter. „Im Ruhrgebiet ist eines der revoltierndsten Stücke deutscher Realität, die ich auf der Leinwand gesehen habe. Realität des Ruhrgebiets, Realität des deutschen Kommunismus, Realität des Filmemachers Nestler, den wir alle aus dem Land getrieben haben – das Deutsche Fernsehen, das ihm die Arbeitsmöglichkeit entzog, das Kuratorium, das ihm das Geld verweigerte, die Kritiker, die ihm bestenfalls ein paar bemüht wohlwollende Sätze widmeten. Im Ruhrgebiet ist das Dokument einer schrecklichen Frustration, vergleichbar nur mit Straubs Nicht versöhnt. “ (Enno Patalas, 1968)

Programm 2 – Stadt des Geldes

Die Heinzelmännchen, Gerhard Fieber, BRD 1962, 11'
Die Heinzelmännchen ist ein Animationsfilm des DGB Filmdienstes. Der Sage von den gleichnamigen Kölner Hausgeistern folgend, verrichten die Heinzelmännchen die schwere körperliche Arbeit des Bergbaus und der Industrie. Sie verdienen sich immer mehr freie Stunden draußen in der Natur. Doch die Automatisierungswelle überrollt nicht nur ihre Arbeitswelt, auch die Erholung unterliegt schnell dem Takt der neuen Konsumgeräte und elektronischen Medien. Im Gegensatz hierzu plädiert der Film mit seiner zugespitzten Kritik am Fortschrittswahn der 1960er Jahre für eine „sinnvolle Freizeit“ durch den Besuch von Bildungs-, Sport- und Kulturangeboten.

Arrival, Mani Kaul, IN 1979, 19'
Mani Kauls experimenteller Dokumentarfilm Arrival zeigt die tägliche Dynamik des städtischen Lebens anhand der massenhaften Produktion und Verteilung von Konsumgütern in Bombay. Ähnlich zu Dziga Vertovs Der Mann mit der Kamera (1929) bewegt sich das mechanische Auge der Kamera in hoher Geschwindigkeit durch den steten Fluss der Arbeitskräfte. Der sporadische Einsatz eines weiblichen, auf Karl Marx rekurrierenden Kommentars ergänzt die faszinierende Bild-Ton-Collage um einen kritischen Verweis auf die sozio-ökonomischen Bedingungen, die die entwürdigende Warenhaftigkeit menschlicher Arbeit im Moloch der modernen Stadt hervorbringen.

Una Ciudad En Una Ciudad, cylixe, DE 2012, 18'
Als vor über 20 Jahren der Bau eines neuen Hochhauses in Caracas, der Haupststadt Venezuelas, abgebrochen wurde, ahnte niemand, dass dieses Gebäude einmal zu einem heterotopischen Ort werden würde: das höchste besetzte Haus der Welt. Der fraktale Blick in den Alltag und die Struktur der Bewohner führt in Una Ciudad En Una Ciudad (Eine Stadt in einer Stadt) einen Dialog mit der Architektur des Büroturms, der einst als Finanzzentrum konzipiert, nun einer ambivalenten Parallelgesellschaft Unterkunft bietet.

Unsupported Transit, Zachary Formwalt, NL 2011, 14'
Unsupported Transit zeigt die Baustelle der neuen Börse in Shenzhen, einer der chinesischen Sonderwirtschaftszonen. Das von Rem Koolhaas’ Office for Metropolitan Architecture entworfene Gebäude wurde jüngst fertiggestellt. Der Ort dient Zachary Formwalt aus Ausgangspunkt einer Geschichte, die die frühen fotografischen Bewegungsstudien Eadweard Muybridges, die filmische Technik der Zeitraffer und Marx’ Überlegungen zur „verkürzten Form des Kapitals“ zusammenbringt: das Verschwinden der Arbeit im Wertschöpfungsprozess des Geldes.

The Good Life (a guided tour), Vermeir & Heiremans, BE 2009, 16'
The Good Life (a guided tour) thematisiert die Gentrifizierung vormals industriell geprägter Stadtzentren. Das Video zeigt eine Gruppenführung durch die weißen Räume eines Museums (u.a. das Arnolfini Centre for Contemporary Arts in Bristol). Eine Ausstellung befindet sich im Aufbau; ein Künstler, Justin Bennett, nimmt Tonspuren auf. Die eloquente Kunstführerin entpuppt sich als Immobilienmaklerin, die das visionäre Architekturprojekt der Umwandlung des Museums in exklusive Lofts anpreist. Alles, was im Video gesagt wird, stammt aus Lifestyle-Magazinen und -Broschüren. Auf diese Weise produzieren Vermeir & Heiremans eine ins Ironische kippende Über-Identifizierung mit der Aufwertung von Luxusimmobilien durch Kunst und der Kommerzialisierung des Kunstbetriebs durch Stadtmarketing.

Programm 3 – Biest am Himmel

Aluminium – Porträt eines Metalls, Willy Zielke, BRD 1957, 13'
Aluminium – Porträt eines Metalls wurde von der Münchner Gesellschaft für Bildende Filme (GBF) im Auftrag der Aluminium-Zentrale Düsseldorf produziert. Die 1950 von Otto Martini und Karl G’schrey gegründete Produktionsfirma hatte sich früh auf formal anspruchsvolle Wissenschafts-, Dokumentar- und Industriefilme spezialisiert, die Volksbildung und Wirtschaftswerbung zu Apologien des technischen Fortschritts verknüpfen. Zahlreiche GBF-Filme erhielten Industriefilmpreise und Auszeichnungen. So auch diese von Oskar Sala vertonte Dokumentation über die Herstellung und Verwendung von Aluminium, dem Metall, das „das Gesicht unserer Zeit prägt.“

1/2 Mensch, Sogo Ishii, JP 1985, 50'  
Der japanische Filmemacher Sogo Ishii begleitete die Westberliner Post-Punk- und Industrial-Band Einstürzende Neubauten während ihrer Japan-Tournee aus Anlaß des 1985 erschienenen Albums „Halber Mensch“ mit der Kamera. Der gleichnamige Film geht jedoch weit über einen konventionellen Konzertfilm hinaus. Zusätzlich zu den Bühnenauftritten der Band wurde mit Blixa Bargeld & Co in einer leerstehenden Fabrikhalle, auf der Straße und an der Bucht von Tokyo gedreht; den Höhepunkt des Films stellt die Interpretation des Songs „Z.N.S.“ durch die legendäre Butoh-Tanzgruppe Byakko-Sha dar. Zum Sound der Einstürzenden Neubauten lässt Ishii das von Wurmgekrabbel untermalte Bild einer zivilisatorischen Endzeit entstehen.

The Shutdown, Adam Stafford, UK 2009, 10'
Adam Staffords erster Kurzfilm, The Shutdown, basiert auf der Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Alan Bissett, der die Erfahrung beschreibt, in unmittelbarer Nähe der Grangemouth-Raffinerie, einer der größten und ältesten petrochemischen Anlagen Europas, aufgewachsen zu sein. Der Film zeichnet ein hypnotisierendes Bild davon, wie ein gigantischer Industriekomplex den Alltag in der Stadt Falkirk in den Central Lowlands Schottlands bestimmt: „By night it became Bladerunner.“

Florian Wüst

lebt als Künstler und freischaffender Filmkurator in Berlin. Er studierte Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und am Piet Zwart Institute, Willem de Kooning Academy, Rotterdam. Seine Arbeit beschäftigt sich mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und des technischen Fortschritts in der Moderne. Jüngste kuratorische Projekte u.a.: Crude Economy, Impakt Festival, Utrecht (2013); Spekulantenwahn. Zwischen ökonomischer Rationalität und medialer Imagination, Kino Arsenal, Berlin (2013); White Noise, Blickle Kino, 21er Haus, Wien (2013); Becoming Voice, South London Gallery, London (mit Maxa Zoller, 2012); La Zona, neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin (mit Sandra Bartoli, Ulrike Feser, Silvan Linden, 2012). Gemeinsam mit Stefanie Schulte Strathaus ist Wüst Herausgeber des Buches Wer sagt denn, dass Beton nicht brennt, hast Du's probiert? Film im West-Berlin der 80er Jahre (2008).

 

 

 

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