Martina Morger mit Lukas Zerbst: Cleaning Sappho

HMKV Video des Monats

Eine Skulptur, beschmiert und gezeichnet von Witterung, steht versteckt hinter Bäumen und Büschen in einem Park in St. Gallen. Es handelt sich um eine Statue der griechischen Lyrikerin Sappho, die von der Tessiner Künstlerin Adelaine Maraini-Pandiani Ende des 19. Jahrhunderts entworfen wurde. Einst ein fester Bestandteil in der Sammlung des städtischen Kunstmuseums, wurde sie in den 1970er Jahren aufgrund von Vandalismusschäden in den öffentlichen Raum gestellt und geriet bald in Vergessenheit.

Martina Morger nimmt sich dieser an: Ausgestattet mit Eimer und Putzlappen, gekleidet in einen blauen Arbeitsanzug, wäscht sie die Dichterin. Mit sanften, aber bestimmten Berührungen nähert sich Morgerder im Abseits stehenden Sappho, schenkt ihr ihre Aufmerksamkeit. So entwickelt sich, auch dank der achtsamen Kameraführung von Lukas Zerbst, in dieser kontemplativen Situation eine dynamische Beziehung zwischen Skulptur und Künstlerin auf mehreren Ebenen. Fragen zu Care-Work unter gegebenen (Un-)Sichtbarkeitsmechanismen sowie der Unterrepräsentation von Frauen* im öffentlichen Raum schwingen in der Waschung der Sappho mit. Diese erste Reinigung kann jedoch nur symbolisch bleiben, eine gründliche Restaurierung würde andere Mittel und Interessen benötigen.

Cleaning Sappho ist Teil der Performance Serie Cleaning Her, in der sich Morger vernachlässigten und verwitterten Statuen von Frauen* im öffentlichen Raum widmet. Dieser Akt der Fürsorge dient nicht nur der symbolischen Reinigung, sondern auch als Aufforderung, unser Verhältnis zu diesen Skulpturen gemeinsam zu ändern.

Ausgewählt von Cornelius Ferber (HMKV)

 

Martina Morger

Martina Morgers künstlerische Praxis verwebt in situativen Installationen und ortsbezogenen Performances Kybernetik und Körperlichkeit. Zentrale Fragestellungen, denen sie so nachspürt, befassen sich mit individueller Freiheit in zunehmend technologisierten Lebenswelten, sowie Vorstellungen von Macht, Begehren und Fürsorge innerhalb einer von Arbeit und Leistung bestimmten neoliberalen Gesellschaft. Einen spezifischen Fokus legt sie dabei immer wieder auf die Konstruktionen von Gender. Ihre Arbeiten lassen sich einerseits als Positionierungen innerhalb des bestehenden Systems sowie andererseits als Behauptungen gegenüber eben jenem System verstehen: Martina nimmt aktiv Räume ein, politisiert den menschlichen Körper und verhandelt über Strategien des Displays und der Sichtbarmachung die Auswirkungen gesellschaftlicher Zwänge auf unsere Körper. So schafft sie queere Entwürfe einer Gesellschaft, deren zentrale Merkmale Hybridität und Fluidität sind und sich so gegenüber den Normierungsbestrebungen unserer Gegenwart behaupten.

Martina Morger ist Co-Kuratorin von Perrrformat, mit der sie Performancekunst in den öffentlichenRaum bringt, sowie Mitglied mehrerer Kollektive und Gewerkschaften mit denen sie sich für Rechte und Anliegen von Künstler*innen einsetzt. 2020 war Martina Atelierstipendiatin an der Cité Internationale des Arts in Paris. Sie ist Manor-Kunstpreisträgerin 2021. Jüngst waren ihre Arbeiten unter anderem Teil von Ausstellungen in den Kunstmuseen St.Gallen / Appenzell / Liechtenstein, im CCA Glasgow, Yarat CAS Baku, Cafa Art Beijing, in der schottischen Nationalgalerie, der Galerie Lovaas Projects und an der Suomi Art Fair und Liste ArtFair Basel. 2019 vertrat sie Liechtenstein an der 58. Biennale in Venedig.

 

Mehr zur Künstler*in:

Website: https://www.martinamorger.com ​​​​Instagram: @martinamorger

 

Mehr zu Cleaning Sappho & Cleaning Her :

https://decoratingdissidence.com/2019/09/29/performance-cleaning-her/

https://kunstmuseum.li/?page=31&kid=186&&lan=de

https://www.rexbern.ch/rex-box-programm/rex-box-programm-queer-perspectives 

 

Lesung zur Performance-Serie am 08.03. in Düsseldorf:

https://www.kunstkommission-duesseldorf.de/aktuelles/praesentation-stadt-raum-experimente-2023/

 

01.–31. März 2024

Martina Morger mit Lukas Zerbst

Cleaning Sappho

4k-Video, Farbe, 07:34 min., 2021

In der Serie „HMKV Video des Monats“ stellt der HMKV im monatlichen Wechsel aktuelle Videoarbeiten internationaler Künstler*innen vor – ausgewählt von Inke Arns und Cornelius Ferber.