Pınar Öğrenci: Glück Auf in Deutschland

HMKV Video des Monats

Videostill aus Pınar Öğrenci, Glück Auf in Deutschland, 2024, 4:3, 44:50 Min., Schwarz-Weiß/Farbe, Ton. Bilder aus dem Ruhr Museum Fotoarchiv, Essen. Courtesy of the artist

- ausgewählt von Inke Arns (HMKV) -

Öğrenci steigt hinab in die Archive der Gastarbeitergeschichte des Ruhrgebiets und holt Leben und Bilder wieder hervor, die im Verborgenen schlummern. Sie zeigt die Körper und Stimmen von Menschen, die jahrzehntelang am Wiederaufbau Deutschlands mitgewirkt haben und noch heute als Migranten abgestempelt und an den Rand gedrängt werden. Sie macht die Erniedrigung und Gewalt deutlich, die Deutschland nur wenige Jahre nach dem Holocaust seiner neuen migrantischen Arbeiterklasse angetan hat. In ihren Collagen, die dem Film beigefügt sind, geht Öğrenci spielerisch und kritisch mit dem belasteten Fotomaterial um. Ihr Arrangement von Filmbildern und Collagen macht deutlich, dass die vielbeschworenen Bergmannstraditionen ein Konstrukt sind, eine symbolische Idealisierung, die die Geschichte der Verschwendung von Körpern und Leben im Kohlebergbau als eine Geschichte des Heldentums und nicht der Ausbeutung erzählen soll. Und zwar eine, in der die Männer die Helden sind, während die Frauen - wie Öğrencis Film zeigt - ohne Bezahlung schufteten, um die Grundlage für den Broterwerb ihrer Partner zu schaffen. Öğrenci verweist auch auf eine weitere geheime Rolle der Frauen in der Region: Sie haben sich einerseits gegen die Schließung von Minen gewehrt und andererseits gegen die Luftverschmutzung gekämpft. Die Künstlerin, die Architektur studiert hat, geht mit der Schere in Zechen und Stahlwerke, um eine überzeugende Visualisierung einer Politik der Körper zu komponieren.

 

Text: Alexander Koch

 

Pınar Öğrenci

Die Künstlerin und Filmemacherin Pınar Öğrenci (1973, Wan, Türkei) lebt in Berlin. Sie hat einen Hintergrund in Architektur, der in ihre poetischen und videobasierten Arbeiten und Installationen einfließt, die Spuren von „materieller Kultur“ im Zusammenhang mit erzwungener Vertreibung über geografische Grenzen hinweg anhäufen. Ihre Arbeiten sind dekoloniale und feministische Lesarten aus den Schnittpunkten von sozialer und politischer Forschung, Alltagspraktiken und menschlichen Geschichten, die Migrationsakteure begleiten. Öğrenci beschäftigt sich mit Ort, Standort und Architektur als Materialisierung von Gewalt. Mit ihrer Arbeit reagiert sie auf eine kollektive Vergangenheit, die oft verschwiegen wird, und fordert ihr Publikum auf, sich eine Zukunft vorzustellen, die auf Gerechtigkeit, Gleichheit und kollektiver Heilung beruht. Indem sie in lokalen Archiven recherchiert, initiiert sie einen Prozess der kollaborativen Erinnerung, der Gemeinschaften dazu bringt, zu hinterfragen, was erinnert, ausgelöscht oder übersehen wurde. Ihre Arbeiten laden dazu ein, die reichen, vielfältigen Schichten des Überlebens, des Widerstands und der Resilienz zu betrachten.

Öğrenci ist für den Böttcherstraßen-Kunstpreis 2022 in Bremen nominiert und hat den Villa Romana-Preis für 2023 gewonnen. Ihre Werke wurden in zahlreichen Museen und Kunstinstitutionen ausgestellt, u. a. auf der Biennale von Venedig (Disobedience Archive, 2024), im Harward Museum (2024), auf der documenta fifteen, Kassel (2022), auf der 12. Gwangju Biennale (2018), der 6. Athen Biennale (2018), dem Istanbuler Off-Site-Projekt der Sharjah Biennale 13 (2017), im MAXXI Museum, Rom (2015-6) und im SALT Galata, Istanbul (2015-6). Sie hatte Einzelausstellungen im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (2024), Frac Bretagne, Rennes (2024), Berlinische Galerie (2023), Kunst Haus Wien -Hundertwasser Museum (2017) und Depo Istanbul (2017). Öğrenci war als Gastdozentin im Masterstudiengang „Raumstrategien“ der Kunsthochschule Berlin Weißensee  tätig. Sie wurde von der Columbia University, der UCLA, der Berkeley University, der Cornell University, der HFBK, der Städelschule Frankfurt und der Venice Art Academy zu Vorträgen, Filmvorführungen und Diskussionen eingeladen.

01.–30. Juni 2025

Pınar Öğrenci

Glück Auf in Deutschland

2024, 4:3, 44:50 Min., Schwarz-Weiß/Farbe, Ton. Bilder aus dem Ruhr Museum Fotoarchiv, Essen. Courtesy of the artist

Online präsentieren wir einen 7-minütigen Ausschnitt. Das Video ist in voller Länge vor Ort im HMKV zu sehen.

 

In der Serie „HMKV Video des Monats“ stellt der HMKV im monatlichen Wechsel aktuelle Videoarbeiten internationaler Künstler*innen vor.